Wolfgang Schreiner, Leiter Schmerzambulanz, geht in Pension
Am Anfang stand ein Buch
Ein rotes Buch mit goldener Schrift – damit begann Wolfgang Schreiners Laufbahn in der Schmerztherapie. «Ich sah dieses Buch, fand es einfach schön und habe es gekauft», erzählt Wolfgang Schreiner, Leiter der Schmerztherapie SRFT, lachend. Das Thema des Buches war die Akupunktur. «Die Lektüre hat mich dazu animiert, mein Blickfeld zu erweitern, eine ganzheitlichere Sicht auf den Menschen einzunehmen», beschreibt Wolfgang Schreiner. Und so begann der Anästhesist sich vertieft mit dem bio-psycho-sozialen Modell und dem daraus abgeleiteten multimodalen Ansatz in der Schmerztherapie auseinanderzusetzen. «Die Wechselwirkung zwischen körperlichen Symptomen und den psycho-sozialen Begebenheiten eines Menschen sind frappant», so der Schmerztherapeut. Ebenso wie sich beispielsweise Stress durch die Veränderung des Muskeltonus in körperlichen Schmerzen niederschlagen könne, sei umgekehrt das Schmerzempfinden respektive der Umgang mit Schmerzen bei jedem Einzelnen stark abhängig von psycho-sozialen Faktoren. «Daher ist es in der Schmerztherapie zentral, sämtliche Faktoren zu berücksichtigen und in der Therapie auch entsprechend unterschiedliche Disziplinen und Therapieansätze zu kombinieren. «Eine rein medikamentöse Behandlung des Schmerzes ist bei den meisten Patienten nicht ausreichend bzw. nicht nachhaltig», sagt Schreiner.
Der Weg führte ins Toggenburg
In diversen Weiterbildungen im Bereich multimodaler Schmerztherapie und einer Ausbildung in der Akupunktur erweiterte Wolfgang Schreiner sein Fachwissen. Parallel dazu konnte er an diversen Stellen als Anästhesist in Deutschland sein Wissen auch praktisch einbringen und erweitern. Der Wunsch sich noch stärker der Schmerztherapie zu widmen, nahm zu. Und da bot sich ihm die Chance, eine ambulante Schmerztherapie neu aufzubauen. 2003 schrieb das Spital Wattwil die Stelle eines Anästhesisten aus verbunden mit der Aufgabe, ein ambulantes Schmerzangebot aufzubauen. «Die Stelle war zu einem Zeitpunkt ausgeschrieben, zu dem meine Tochter erwachsen geworden war und wir Eltern daher auch wieder freier betreffend beruflicher Veränderungen waren. Und die Region hat es uns sofort angetan», so Wolfgang Schreiner. Und so zog er ins Toggenburg.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Seither hat er die Schmerzambulanz in der SRFT aufgebaut und stetig weiterentwickelt. Dabei habe er sich stark am KSSG orientiert und auch von Beginn weg einen guten Austausch mit dem Zentrumsspital gepflegt. Als erstes ging es jedoch darum, das benötigte Netzwerk zu knüpfen, um überhaupt die Voraussetzungen für eine multimodale Behandlung zu schaffen. «In einem Zentrumsspital sind alle benötigten Disziplinen vor Ort», so Schreiner. In einem kleineren Regionalspital müssen einige Bereiche auch anders abgedeckt werden können. Dieses Netzwerk aufzubauen und über die Jahre zu etablieren, ist Wolfgang Schreiner gelungen. In die ambulante Schmerztherapie sind neben den Fachkollegen aus diversen medizinischen Bereichen vor allem die Physiotherapie der SRFT sowie ein Psychiater aus der Psychiatrie St.Gallen Nord eingebunden. Auch der Austausch mit den Hausärztinnen und -ärzten sei äusserst relevant. «Gemeinsam begleiten wir Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen über Jahre hinweg», so Schreiner, dessen langjährigste Patientin sich bereits seit 2004 bei ihm in Behandlung befindet. Anders als in der Anästhesie, wo eine Anästhesie bzw. eine Operation auch mal fertig bzw. erfolgreich abgeschlossen ist, sei die Behandlung von chronischen Schmerzpatienten häufig eine Langzeitbehandlung. Man baue daher zu den Patienten auch eine andere Beziehung auf, sagt er. Allerdings gebe es auch Parallelen zur Tätigkeit als Anästhesist. So müsse der Schmerztherapeut ebenfalls stets in Verknüpfungen denken und zwischen den Disziplinen vermitteln können. Eine weitere sei die enge Zusammenarbeit von Arzt und Pflege. «Diese intensive Zusammenarbeit auf Augenhöhe schätze ich sehr», so Schreiner.
Angebot ausgedehnt
Im Laufe von 18 Jahren in der SRFT ist es Wolfgang Schreiner gelungen, die Schmerztherapie auch immer weiter auszubauen und weiterzuentwickeln – gemeinsam mit dem ganzen Team, wie er betont. «Das war aber nicht so nebenbei möglich», sagt Wolfgang Schreiner. Nur dank der Möglichkeit, seine Aufgaben im Anästhesieteam entsprechend anzupassen, konnte mit zunehmender Nachfrage die Schmerztherapie auch auf den Standort Wil ausgedehnt und die Anzahl der Behandlungstage fortlaufend ausgebaut werden. Auch in organisatorischer Hinsicht wurde die Schmerztherapie im Laufe der Jahre zunehmend eigenständiger. Zudem konnte mit der Einstellung von speziell ausgebildeten Pain Nurses weiteres Behandlungsknowhow eingebunden werden und dank des spezialisierten Anästhesisten Liviu Anton können auch interventionelle Verfahren im multimodalen Kontext angeboten werden.
Patienten übergeben
«Heute sind wir ein eingespieltes Team, welches den multimodalen Ansatz lebt», sagt Schreiner. Er selbst wird das Team nun nach 18 Jahren verlassen. Seine Nachfolge ist mit Marianne Korfmann sichergestellt. «Dass die Schmerztherapie in Wattwil nicht mehr weitergeführt werden kann, ist für mich natürlich ein Wermutstropfen», sagt Schreiner. Die Tatsache, dass die SRFT eine Nachfolgerin gefunden habe, welche die Schmerztherapie im gewohnten Sinn und Geist weiterführen werde, sei für ihn aber sehr wichtig. Und sie beide konnten nun noch während eines halben Jahres zusammenzuarbeiten. «Die Patienten sind sehr personenbezogen. Ich konnte Marianne Korfmann die Patienten sozusagen in die Hand geben, was sehr schön war und es mir leichter macht», so Schreiner, dem das Wohl der Patientinnen und Patienten spürbar das Wichtigste ist. Dies kommt auch in seiner Antwort auf die Frage nach den wesentlichsten Veränderungen im Gesundheitswesen zum Ausdruck: «Der grösste Bruch war als man im Gesundheitswesen begann, Patienten als Kunden zu sehen.» Aber ist das nicht etwas Positives im Sinne der Dienstleistungsorientierung? «Patienten kommen nicht freiwillig, sondern weil sie ein Leiden haben. Welche Gesundheitsleistungen ein Patient erhält, soll nicht davon abhängig sein, welche Erträge sie bringen, sondern davon, was dem Patienten wirklich hilft», erläutert Wolfgang Schreiner. Er wünsche sich denn auch, dass die menschlichen Leistungen wie Gespräche etc. im Gesundheitswesen wieder gleich gewichtet würden wie die technischen Leistungen».
Es bleiben das Interesse und die Bücher
Solche Entwicklungen wird Wolfgang Schreiner künftig aus etwas mehr Distanz mitverfolgen. Ebenso wird er mehr Distanz zum Toggenburg gewinnen – rein räumlich. Denn trotz des bevorstehenden Umzugs nach Deutschland, werde er die Region sicher regelmässig besuchen. Sie sei ihm doch sehr ans Herz gewachsen. Seine freie Zeit will er für seine Hobbies nutzen: Fahrrad-Oldtimer reparieren und sie ausfahren sowie Chüeli schnitzen – ein Handwerk, das er hier gelernt hat. Und zu guter Letzt: Auch am Schluss seiner beruflichen Laufbahn in der Schmerztherapie stehen Bücher: Mit der Übersetzung von Fachbüchern will Wolfgang Schreiner sich auch weiterhin mit dem Thema befassen.